Tunesien macht politisch große Fortschritte, doch der Übergang in die Demokratie ist schwer. Das liegt vor allem an der labilen Wirtschaftslage.
Die Begeisterung war groß, als das Parlament in Tunis Ende Juli eineumfassende Gesetzesreform zum Schutz von Frauen vor Gewalt verabschiedet hatte. Was die Abgeordneten da nach langem Ringen auf den Weg gebracht hatten, enthält eine ganze Reihe wichtiger Änderungen: Vergewaltiger gehen nicht mehr straffrei aus, wenn sie nach der Tat ihre minderjährigen Opfer heiraten, sexuelle Belästigung wird zum Straftatbestand und wenn eine Frau, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, ihren Scheidungsantrag zurückzieht, wird dadurch nicht mehr automatisch die Strafverfolgung gegen den Ehemann eingestellt.
Denn eigentlich entwickelt sich vieles in Tunesien seit dem Umbruch 2011 sehr positiv. Es gibt freie Wahlen und eine neue Verfassung, die Parteienlandschaft blüht und die Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Verbrechen der ehemaligen Diktaturen hält regelmäßig öffentliche Anhörungen ab. Selbst der Tourismus, der erstmals durch die Revolution und dann nochmals 2015 durch mehrere Anschläge eingebrochen war, kommt dieses Jahr vorsichtig wieder in Gang – auch weil sich die Sicherheitslage in Tunesien trotz der Krisen in der Region etwas stabilisiert hat. So konnte Tunesien bis Ende Mai 2017 rund 46 Prozent mehr Touristen verbuchen als im Vergleichszeitraum 2016.
Wichtig für die junge Demokratie war die politische und gesetzliche Einbindung der islamistischen Ennahda-Partei, die in den Anfangsjahren des Transformationsprozesses sowohl in als auch außerhalb Tunesiens für erbitterte Auseinandersetzungen gesorgt hatte. Einerseits, weil ihr Gesellschaftsbild dem der etablierten politischen Elite in vielen Dingen diametral gegenübersteht. Andererseits hatte die Übergangsregierung unter Führung der Ennahda viel zu lange die Augen vor extremistischen und gewalttätigen Strömungen unter den Islamisten verschlossen. In der Rückschau wird jedoch deutlich, dass durch die Einbindung der Ennahda eher ihr gemäßigter Flügel gestärkt und so möglicherweise ein ägyptisches Szenario wie mit den Muslimbrüdern verhindert wurde.
Dennoch läuft längst nicht alles rund. Die alten Eliten aus der Zeit von Gewaltherrscher Zine el Abidine Ben Ali üben nach wie vor massiven Einfluss aus – nicht ganz so direkt und offensichtlich wie das Militär am Nil, aber trotzdem effizient, sei es in der Politik oder in der Wirtschaft. Besonders ökonomisch liegt vieles noch im Argen. Der tunesische Dinar hat seit 2011 gegenüber dem Euro rund 50 Prozent an Wert verloren. Das ist zwar fatal für Tunesien, das einige Grundnahrungsmittel sowie Energie importieren muss, könnte für ausländische Investoren aber interessant sein. Doch diese wollen trotz neuem Investitionsgesetz und zahlreichen Anreizen aus Angst vor Korruption und Arbeitskämpfen nicht ins Land kommen. mehr