Tunesiens Regierungschef besucht Berlin. Die Bundesregierung möchte sein Land als sicheren Herkunftsstaat einstufen. Doch Amnesty International wirft ihm schwere Menschenrechtsverletzungen vor.
Dass Amnesty Internationals Bericht zur Menschenrechtssituation in Tunesien just zum Besuch von Youssef Chahed in Berlin erschien, war reiner Zufall. Doch der Zeitpunkt passe gut, findet die Büroleiterin der Organisation in Tunis, Heba Morayef. Denn während Tunesien im Ausland immer als Musterland des sogenannten Arabischen Frühlings dargestellt werde und tatsächlich eine ganze Reihe an Fortschritten gemacht habe, „werden Menschenrechtsverletzungen nicht wahrgenommen“. Sie unter den Teppich zu kehren, berge jedoch das Risiko, dass zum Beispiel unrechtmäßige Hausdurchsuchungen, Reiseverbote oder Folter zur Norm würden und sich das Land schnell in einem Unrechtssystem wie unter der Diktatur wiederfinde.
In dem 50 Seiten umfassenden Report berichtet die Nichtregierungsorganisation detailliert über Übergriffe der tunesischen Sicherheitskräfte, darunter 23 Fälle von Folter und sexualisierter Gewalt. Vor allem Islamisten würden zur Zielscheibe der Polizei. Das Vorgehen der Behörden erleichtert der Ausnahmezustand, der seit dem politischen Umbruch im Januar 2011 fast durchgängig in Kraft ist. Er räumt dem Innenministerium weitreichende Kompetenzen gegen Verdächtige ein. Nachdem es im Jahr 2015 außerdem zu einer Reihe von Terroranschlägen gekommen war, bei denen mehr als 60 vor allem ausländische Opfer starben, verabschiedete das Parlament ein neues Antiterror-Gesetz, dass den Sicherheitskräften ebenfalls weitreichende Befugnisse einräumte. mehr
Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.