Tunesien gilt als das Land mit den modernsten Frauenrechten in der arabischen Welt. Doch Aktivisten gehen die Gesetze heute nicht mehr weit genug. Sie kratzen am Tabu der Erbrechtsreform.
Tunesien feiert gleich zweimal im Jahr den Frauentag: einmal den internationalen am 8. März, und dann den tunesischen, am 13. August. Er erinnert an das sogenannte Personenstandsgesetz (Code du statut personnel, CSP), das am 13. August 1956 beschlossen wurde. Ihm verdanken die Tunesierinnen, dass sie deutlich mehr Freiheiten haben als Frauen anderer Staaten in der Region. Doch heute ist das CSP in die Jahre gekommen. „Als es verabschiedet wurde, war das in Tunesien und im Rest der arabischen Welt eine echte Revolution“, sagt Monia Ben Jemia, Präsidentin des Tunesischen Verbandes Demokratischer Frauen (ATFD), einer Nichtregierungsorganisation. „Aber wir müssen den CSP reformieren, denn heute ist es der tunesische Gesetzestext, der Frauen am stärksten diskriminiert.“
Die Ausarbeitung dieser Gesetze war 1956 eine der ersten Amtshandlungen des neuen tunesischen Premierministers und späteren Präsidenten Habib Bourguiba. Nur wenige Monate nach der Unabhängigkeit von Frankreich, und noch bevor Tunesien überhaupt eine Verfassung hatte, übertrug er den Tunesierinnen wichtige Rechte: die Polygamie wurde abgeschafft und Frauen durften fortan selbst die Scheidung einreichen. Außerdem wird im Scheidungsfall im Sinne des Kindeswohls entschieden und das Sorgerecht nicht automatisch dem Vater zugesprochen. Diese Reformen haben entscheidend dazu beigetragen, dass Tunesien als das Land der Frauenrechte in der Region gilt. Doch obwohl die Tunesierinnen stolz auf diese Errungenschaften sind und sie heute kaum noch in Frage gestellt werden, klagen viele über die gesellschaftliche Realität, die mit den Gesetzen nicht mithält.
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