Der Rücktritt des tunesischen Premierministers Hamadi Jebali könnte ein wichtiger Schritt sein hin zu einer Spaltung der Ennahda-Partei in moderate und radikalere Kräfte. Dieser Schritt ist dringend nötig, wenn Ennahda langfristig eine politische Zukunft haben und nicht nur als Sammelbecken für verschiedene religiöse Kräfte dienen will.
Kommentar für den Deutschlandfunk, 20.02.2013
Der Mord an dem linken Oppositionspolitiker Chokri Belaid war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat – und der den zurückgetretenen Premierminister Hamadi Jebali zwang, nach Monaten der Verhandlungen endlich ernst zu machen mit seiner Ankündigung, eine Regierungsumbildung durchzusetzen.
Hamadi Jebalis Initiative ist gescheitert, weil ihm seine Koalitionspartner und die eigene Partei die Unterstützung verweigert haben. Dass er daraus die Konsequenzen gezogen und seinen Rücktritt eingereicht hat, das hat ihm durch alle politischen Lager hinweg Sympathien eingebracht. Es ist das erste Mal, dass ein führender Politiker von Ennahda so klar gegen seine eigene Partei Stellung bezieht.
Sein Rücktritt könnte ein wichtiger Schritt sein hin zu einer Spaltung der Partei in moderate und radikalere Kräfte. Dieser Schritt ist dringend nötig, wenn Ennahda langfristig eine politische Zukunft haben und nicht nur als Sammelbecken für verschiedene religiöse Kräfte dienen will.
Dass Ennahda lange die religiöse Karte gespielt hat, das schlägt ihr nun entgegen. Viele Wähler hatten den Islamisten vertraut, weil sie dachten, dass eine gottesfürchtige Partei sich an ihre Wahlversprechen halten wird. Sie mussten schmerzlich lernen, dass auch Ennahda nur eine Partei wie viele andere ist, der es vor allem um Posten und politischen Einfluss geht.
Den meisten Tunesiern geht es eben in erster Linie nicht um Fragen der Religion und der tunesischen Identität, sondern um ganz handfeste Themen: eine gute Regierungsführung, eine unabhängige Justiz, wirtschaftliche Entwicklung im Landesinneren, und vor allem um eine neue Verfassung. Diese Themen ist die Koalitionsregierung seit ihrem Amtsantritt vor gut einem Jahr viel zu zögerlich angegangen.
Die Juniorpartner von Ennahda, der „Kongress für die Republik“ von Präsident Moncef Marzouki und die sozialdemokratische Ettakatol-Partei, haben sich unterdessen mit ihrer unklaren Haltung während der Regierungskrise endgültig ins politische Abseits manövriert.
Doch auch die Opposition steht in Tunesien nicht viel besser da. Sie hat die vielleicht historische Chance verpasst, aus der politischen Krise Profit zu schlagen, ein klares Programm zu präsentieren und einen Ausweg aus der verfahrenen Situation aufzuzeigen. Zwei Jahre nach dem Beginn des Demokratisierungsprozesses lässt sich das nicht mehr mit politischer Unerfahrenheit entschuldigen.
Ennahdas Parteivorsitzender Rached Ghannouchi kündigte nach Gesprächen mit Präsident Moncef Marzouki an, es herrsche Einigkeit darüber, dass die kommende Regierung von möglichst vielen Parteien unterstützt werden müsse. Und so wartet Tunesien nun gespannt darauf, wen der Präsident auf Vorschlag der Islamisten mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen wird.
Hamadi Jebali hat strenge Bedingungen gestellt, um noch einmal anzutreten. Doch er könnte zumindest auch Teile der Opposition hinter sich vereinen. Ob seine Partei allerdings einem erneuten Anlauf zustimmt, ist noch offen. Sollte Ennahda stattdessen einen Kandidaten des radikaleren Lagers vorschlagen, dann ist die Frage, wie lange die Opposition, die Zivilgesellschaft und vor allem die tunesische Bevölkerung noch mitspielen, bevor sie erneut auf die Straße gehen werden.
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